21.03.2020
Wort zum Sonntag 04/2020
Kennen Sie diese jüdische Geschichte?
Kommt ein Mann zum Rabbi "Rebbe, meine Wohnung is' so klein. Ich hab' a Frau und sieben Kinder, meine Wohnung is' so klein!" Sagt der Rabbi "Dann nimm dir die Ziege mit in die Wohnung!" Der Mann ist entsetzt "Aber, Rebbe, meine Wohnung is' viel zu klein!" - "Tu was ich dir sag' und komm' in einer Woche wieder." Nach einer Woche kommt der Mann wieder und jammert "Rebbe, meine Wohnung is' so klein. Ich hab' a Frau und sieben Kinder und a Ziege, meine Wohnung is' so klein!" Sagt der Rabbi "Dann nimm dir die Kuh mit in die Wohnung!" Der Mann protestiert, aber erfolglos. Nach einer Woche kommt er wieder "Rebbe, meine Wohnung is' so klein. Ich hab' a Frau und sieben Kinder und a Ziege und a Kuh, meine Wohnung is' so klein!" Sagt der Rabbi "Schmeiß' die Ziege und die Kuh 'raus!" Am nächsten Tag kommt der Mann und freut sich "Rebbe, meine Wohnung is' so groß!"
Vielleicht tut eine Einschränkung gut, um zu erkennen, wie komfortabel man es vorher hatte. Das denke ich in diesen Tagen manchmal, in denen vieles, was vorher selbstverständlich war auf einmal nicht mehr möglich ist. Ich lebe in einem Land, in dem ich reisen kann, wohin ich will, in dem ich ein reiches Kulturangebot wahrnehmen kann, in dem die freie Religionsausübung staatlich garantiert ist, in dem ich in den Läden ein reiches Angebot vorfinde und leere Regale immer wieder schnell aufgefüllt werden. Und trotzdem auch in einem Land, in dem viel Unzufriedenheit herrscht. Wie passt das zusammen? Für viele Menschen weltweit ist all dies nicht selbstverständlich.
Darum will ich dankbar sein für die kurze Unterbrechung des Alltags, die wir gerade erleben. Mein Blick fällt auf die Saale, die unterhalb unseres Merseburger Domes entlang fließt, während ich diese Zeilen schreibe. Unaufhörlich strömt das Wasser weiter und ist ein Symbol für stetige Veränderung. So bin ich getrost und weiß: Das, was mir heute noch Sorgen macht, wird morgen schon vergessen sein. Ich werde mich daran freuen, wie gut es mir geht. So wie der arme Mann, der endlich wieder nur mit seiner Frau und den sieben Kindern die kleine Wohnung teilt.
Einen fröhlichen & gesunden Sonntag wünscht
Bernhard Halver, Dompfarrer Merseburg