06.03.2020
Wort zum Sonntag 03/2020

Mit ganz viel Luft nach oben

Vor einigen Jahren fuhr ich das erste Mal nach Frankreich, um Kathedralen anzusehen. Ich setzte mich hinten in eine der letzten Reihen und schaute nicht nach vorn zum Altar, sondern zurück zur Tür:
Menschen kamen herein, an denen noch die Sommersonne haftete, sie blinzelten, weil sich die Augen erst an die Lichtverhältnisse gewöhnen mussten. Von einem Mann habe ich ein Foto gemacht: Vor seinem Bauch baumelt der Fotoapparat, er trägt Outdoor-Kleidung – und schaut mit weit aufgerissenem Mund hoch zur Decke der Kathedrale. Er staunt. Es ist ein herrliches Foto!
Kirchen sind sehr ineffiziente Bauten: Da ist so viel Luft nach oben, so viel umbaute, umhegte Leere – so gar nicht genutzter Raum! So viel weiße Wand, so ganz ohne Werbung. Und dann so viele Stühle oder Bänke für oft nur eine Stunde Nutzung in der Woche am Sonntag. Würde das jemand durchrechnen – Gott behüte!
Kirchen sind Luxus. In den verdichteten Städten, wo man das Grün suchen muss und die Häuser den Blick in den Himmel verstellen, bewahren sie Großzügigkeit, ein Gefühl von Freiraum. Und auf dem Land, wo auch der letzte Konsum schließt, vermitteln sie ein Gefühl von Heimat, von Zugehörigkeit und Gemeinschaft – und sorgen dafür, dass sich auch Menschen für das Kirchengebäude engagieren, die gar nicht zur Kirche gehören.
Und der Luxus ist nötig: Ein Raum der Stille im Alltag voller Geräusche, Erreichbarkeit, voller bunter Bilder. Ein Ort, um zu staunen, um still zu sitzen, den eigenen Atem zu hören, das eigene Herz, einen Ort, um, wenn man mag, eine Kerze anzuzünden und zu beten. Schon im Mittelalter waren Kirchen für Menschen Gegenorte, sie waren gebauter Himmel auf Erden, ein bisschen Paradies, eben mit ganz viel Luft nach oben.
Einen solchen Ort wünsche ich Ihnen!

Lydia Schubert, Kreisfachreferentin für die Arbeit mit Ehrenamtlichen